Die Stadtkapelle begeistert beim Frühjahrskonzert

Die Stadtkapelle Rain präsentiert sich unter Andreas Nagl mit unglaublich starken Interpretationen.

DONAUWÖRTHER ZEITUNG VOM 15.04.2019

VON BARBARA WÜRMSEHER


Die Stadtkapelle Rain bei ihrem Frühjahrskonzert. Einmal mehr beeindruckte der 80 Mann starke Klangkörper durch hohes Niveau und große Spielfreude.
Andreas Nagl steht am Dirigentenpult – hinter sich im Rücken etliche hundert Zuhörer, vor sich im Halbrund seine 80 Musiker. Große Besetzung. Als er den Taktstock hebt, weiß er 160 Augen konzentriert auf sich gerichtet. Seine prägnante Gestik setzt die magischen Impulse, denen sich Töne, Klänge, ja musikalische Geschichten anschließen. Alle Register folgen präzise seinen Schlagfiguren, die Technik, Artikulation, Emotion fordern.

Einmal mehr ist Nagl beim Frühjahrskonzert der Stadtkapelle Rain Herr über Partitur und Musiker. Über dieses leistungsstarke Ensemble. Er ist der Maestro am Pult, der die ausgezeichnete Auswahl bemerkenswerter symphonischer Werke getroffen hat. Er gibt deren Interpretationen vor und fügt letztlich die vielen kleinen Einzelteile zum großen Ganzen zusammen. An diesem Abend in der Dreifachsporthalle – quasi der „Lechphilharmonie“ der Tillystadt – gelingt dem Orchester zusammen mit ihm als Frontmann erneut ein großer Wurf.

Lea Hänsel spielt die Soloklarinette
Den wirklichen Höhepunkt im Programm auszumachen, ist kein leichtes Unterfangen. Vermutlich ist es „Konzert Nr. 2“, das junge Werk des spanischen Komponisten Oscar Navarro, das am meisten den Atem anhalten lässt. Zumal das Publikum in den Genuss kommt, die hinreißende Lea Hänsel an der Soloklarinette zu erleben. Die erst 22-jährige Oberndorferin studiert in Hannover, hat in namhaften Orchestern gespielt, Konzertreisen nach Japan und Italien unternommen und ist festes Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie.

Jetzt steht sie neben Andreas Nagl an der Bühnenrampe. Tief versunken in die Komposition, fast zärtlich verbunden mit Werk und Instrument gleitet sie weich durch lyrische Passagen, steigert ihr Spiel mit körperlichem wie emotionalem Einsatz durch dramatische Abschnitte bis sie in den irrwitzigen Tempi der finalen Läufe ankommt und diese scheinbar mühelos erklimmt. Mit jener vermeintlichen Selbstverständlichkeit ist ein Musiker nur dann unterwegs, wenn großes Talent und disziplinierte Arbeit dahinter stecken. Lea Hänsels Ausdrucksstärke und ihre virtuose Beherrschung der Klarinette sind großartig! Das Publikum hängt mit den Augen gebannt an dieser jungen Frau, die mit so viel Können imponiert und ihre ganze Leidenschaft in diesen Moment investiert. Pulsierendes, kraftvolles Spiel in allen Registern begleitet sie durch den musikalisch faszinierenden Dialog – 80 Musiker wie aus einem Guss.

Von Stück zu Stück verfestigt sich dieser Eindruck, auch als sich Lea Hänsel in der Position der ersten Klarinette ins Ensemble einreiht. Was das Publikum erleben darf, ist Höchststufe im Niveau eines Blasmusik-Orchesters! Schon die „Candide“-Ouvertüre von Leonard Bernstein, der Auftakt im Programm, schont keinen der Interpreten. Überwiegend temporeich, voll fieser Taktwechsel, stilistisch ein Konglomerat aus Mazurka, Tango, Walzer und mehr, fordert diese Komposition stete Präsenz. Mit großer Spielfreudigkeit meistert die Stadtkapelle diesen Anspruch.

Eine sinfonische Dichtung
Nicht anders ist es bei „The Wind in the Willows“ (Der Wind in den Weiden) von Johan de Meij. Diese vertonten Kindergeschichte ist eine sinfonische Dichtung, die Maulwurf, Wasserratte, Kröterich und Dachs mit Instrumenten Stimmen gibt. Lautmalereien lassen kontrastreiche Bilder von Landschaft, Tieren und Handlung vor dem inneren Auge entstehen. Der weitgehend straffen Dramaturgie konsequent folgend, zeigt sich die Stadtkapelle einmal mehr bestens disponiert.

Dagegen nimmt sich der Zapfenstreich Nr. 1 von Ludwig van Beethoven – der große Wiener Klassiker möge verzeihen – verhältnismäßig bieder aus. Aber natürlich muss ein Blasorchester auch die Marschmusik bedienen.

Von diese Reminiszenz an die böhmische Landwehr geht es weiter ins entfernte Las Vegas. Reichlich Zeit und Raum trennen diese beiden Kompositionen voneinander, wie auch eine Pause im Programm, nach der Karin Neubauer, die Moderatorin des Abends, das Publikum wieder mit wertvollen Erläuterungen und Einstimmung abholt. „Godzilla eats Las Vegas“ von Eric Whiteacre wirft Musiker wie Zuhörer in ein emotionales und spieltechnisch aufwühlendes Wechselbad der Gefühle. Als das Filmmonster in Tönen durch die Sporthalle stapft, zieht Nagl zusammen mit der Stadtkapelle buchstäblich alle Register – ja mehr noch. Binnen weniger Takte lösen sich flotte Jazz-Klänge mit bedrohlichen Clustern ab, erneute Tanzrhythmen mit dumpfem Gegrummel in den tiefen Lagen. Dazwischen schrecken hysterische Schreie der Musiker auf, Hundegekläff und kreischende Trompeten mischen sich mit weinende Flöten, klagende Klarinetten und stampfenden Schritten.

Das Orchester erzählt die Geschichte dieser amerikanischen Show-Stadt, die angesichts der Angriffe des Monsters verzweifelt um Normalität bemüht ist. Es erzählt sie mit Spezial-Effekten, zu denen auch flirrende Plättchen gehören, die die Musiker in die Luft schießen und die sich dann glitzernd über sie ergießen. Ein unglaubliches Stück – eine unglaubliche Kapelle!

Rainer Stadtkapelle probt für das Konzert 63 Mal
Da schließt sich die musikalische Reise mit dem „Orient Express“ von Philippe Stark beinahe schon erholsam an – wenngleich auch nur scheinbar. Nach dem Pfiff des Schaffners rollen die Räder des Luxuszuges. Das Publikum darf sich an dessen majestätischer Eleganz freuen, darf die unterschiedlichen Landschaften genießen, die an den Abteilfenstern vorbeiziehen, darf den Zug mal in gemächlichem Gleiten erleben, dann wieder in hektischer Betriebsamkeit. All das hat der Komponist in musikalische Bilder verpackt. All das übersetzen die Musiker aus schwarzen Noten in traumhafte Klänge. Perfekt!

63 Proben hat diese runde Gesamtleistung die Rainer Stadtkapelle gekostet, wie Vorsitzender Christoph Heider verrät. Ein Probenwochenende war dabei; zuletzt traf sich das Orchester drei Mal pro Woche. Dazu kommen unzählige Einzelproben jedes Ensemble-Mitglieds. Am Ende des Konzerts gewährt Andreas Nagl zwei Zugaben. Vor einer dritten winkt er seine Musiker mit unmissverständlicher Schlagfigur nach draußen. Anders geht es nicht. Dann das Publikum würde am liebsten „Da Capo“ rufen.