Von der Leichtigkeit des Seins

Die Stadtkapelle Rain macht die Leutnantschanze zum Freiluft-Konzertsaal und fesselt ihr Publikum in gewohnter Manier. Womit das Ensemble diesmal für Begeisterung sorgt.
VON BARBARA WÜRMSEHER

Donauwörther Zeitung 20.07.2022

Von der sommerlichen Leichtigkeit des Seins erzählen die Töne, die der laue Abendwind aus der Rainer Leutnantschanze im Stadt- park hinaus in die Umgebung trägt: Mal sind es zart hingehauchte Klänge, dann wieder geballte Cluster aus sämtlichen Registern, die sich den Weg in die Gemüter der Zuhörerinnen und Zuhörer bahnen. Es ist die Serenadenzeit der Rainer Stadtkapelle, und zu- rückgelehnt in den Stühlen genießt das vielzählige Publikum dieses Gesamtpaket aus einnehmenden Kompositionen, hörenswerten Interpreten und betörender Umgebung.


Große Konzertsäle und Kirchen bespielen die Musiker der Rainer Stadtkapelle ja ohnehin. Auch Open-Air-erfahren sind sie. Dies- mal allerdings hat sich Orchesterchef Andreas Nagl einen Schau- platz der besonderen Art ausgesucht: Im naturbelassenen Amphitheater der Leutnantschanze intonieren Vorstufenensemble und Stammkapelle auch ohne Resonanzraum um sich herum klang- schöne Melodien mit einem Volumen, das die trockene Freiluftakustik zu durchbrechen versteht.
Keine schwere Kost ist es, die da zum Zuhören aufgetischt wird. Freilich sind die Stücke, zu denen Vorsitzender Christoph Heider begrüßt, dennoch anspruchsvoll für die Instrumentalisten zu spielen. Im Schein der untergehenden Son- ne platzieren die Musiker ein Programm von Barockmusik über Marsch und Walzer bis hin zu Ohrwurmmelodien aus Fernsehen und Musical.

Allesamt zum Genießen! Oder, um es mit dem Wunsch des charmanten Moderators Marco Roger zu sagen: Es ist schlichtweg „größtes Hörvergnügen“, das es zu erleben gibt.
Der Jugend gehört bei Konzerten stets der musikalische Auftakt und wie gut es um den Nachwuchs der Rainer Stadtkapelle bestellt ist, demonstriert zupackend Cathy Smith, die Dirigentin des Vorstufen-Ensembles. Sie lotst mit zackiger, dann wieder geschmeidig-weicher Gestik die erfreulich vielen, erfreulich gut disponierten jungen Menschen durch die Herausforderungen und sammelt sie energisch bei sich und ihrem Dirigat. „Young Fanfare“ von Martin Scharnagel macht den Anfang, gefolgt von Johan de Meijs wunderbarer „Großer Jupiter Hymne“, die Cathy Smith freilich weniger lyrisch, denn fast getrieben interpretiert. „Zauberland“ von Kurt Gäble schließlich – ein fortwährender Dialog zwischen kantablen Passagen und rhythmisch markanten Einwürfen – lässt beglückend erkennen, auf welch gutem Weg der Rainer Nachwuchs ist, zu einer Einheit zusammenzuwachsen.
Die Jugend eifert hörbar den Großen nach, die als Stammkapelle technisch und in ihrer Ausdrucksstärke bekanntlich deutschlandweit zu den drei Spitzen-Blasorchestern im Amateurbereich zählt.
An diesem Abend gehen sie es entspannter an als bei so manchem symphonischen Konzert, freilich fordert Stadtkapellmeister Andreas Nagl dennoch Konzentration und makelloses Spiel ein.
Die Dramaturgie des Programms ist geschickt gewählt, denn der Start mit Henry Purcells Rondo und Air aus der „Abdelazer Suite“ wirkt in leicht tänzelnder Manier noch vergleichsweise konventionell, während es mit fort- schreitendem Abend dann zunehmend moderner und fetziger wird. In feinstem barocken Duktus kommen die beiden Sätze freilich daher u d erfreuen die Fans der polyfonen Satztechnik – nicht ohne Grund galt deren genialer Schöpfer schon zu Lebzeiten als „Orpheus Britannicus“.
Mit kuriosen Fanfarenstößen, lebhaft-drolligen Sechzehntelläufen, gefälliger Melodie und den typisch markanten Marsch-Rhythmen besticht der Florentiner Marsch von Julius Fucˇík. Die Stadtkapelle artikuliert die raschen Passagen deutlich und punktgenau durch alle Register und lässt die technischen Herausforderungen der halsbrecherischen Dynamik – etwa an die Atmung – nicht erkennen. Wie selbstverständlich flutscht das Stück, geschmeidig und schlank im Klang.

Zum innerlichen Mitsingen und äußerlichen Mitwippen ist auch der Walzer „España“ von Émile Waldteufel geeignet. Schmissig, temporeich und temperamentvoll kommt er daher. Der Dialog der Register gerät zu einem entzückenden Frage-und-Antwort-Spiel, das vom quirligen Staccato-Geklöppel des Schlagwerks und von Kastagnetten-Klängen unter- legt wird. Und noch einen Walzer gibt es, freilich ganz anders im Charakter: „The Second Waltz“ von Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch. Mit seinem tanzbaren Dreivierteltakt hat er eine sehr wiegende Dynamik.
Dann fordert Moderator Marco Roger die TV-Kenntnisse des Publikums heraus. Titelmelodien welcher Fernsehsendungen stecken wohl im Medley von Manfred Schneider? Die Stadtkapelle spielt – die Zuschauer rätseln. Harmonisch im Zusammenklang, harmonisch erst recht auch im Kontakt mit Dirigent Andreas Nagl, zeigen die Bläserinnen und Bläser aller- beste Spiellaune bei den Ohrwürmern zu: „Lindenstraße“, „Herzblatt“, „Schwarzwaldklinik“, der Eurovisionsmelodie, „Wetten, dass..?“, „Traumschiff “, dem „aktuellen Sportstudio“, „Derrick“ und „Tagesschau“. Dem kann an Popularität nur noch das Musical-Potpourri „The Magic“ von Andrew Lloyd Webber“ eins draufsetzen. In einem Arrangement von Warren Barker intoniert die Stammkapelle spektakuläre Hits auf höchsten Niveau.
Die gute Nachricht zu vorgerückter Stunde: Die Stadtkapelle, der große Kulturträger der Stadt Rain, setzt nach wie vor Highlights im Jahreslauf. Die schlechte Nachricht: Einmal geht jedes schöne Konzert zu Ende. Mit dem letzten Ton der Zugabe ist auch dieser Abend zu Ende.