Einfach hinreißend!

Die Stadtkapelle Rain unter Andreas Nagl präsentiert sich beim Frühjahrskonzert einmal mehr in Höchstform

DONAUWÖRTHER ZEITUNG VOM 03.05.2018

Von Ulrike Hampp-Weigand

Immer wieder großartig: die Rainer Stadtkapelle unter Leitung von Stadtkapellmeister Andreas Nagl. Diesmal hatte das Orchester Unterstützung von Schauspieler Georg Thaller (rechtes Bild) als Ahab. (Bild: Walter Müller)

Absolut beeindruckend: das Frühjahrskonzert der Stadtkapelle Rain. Applaus im Stehen gab es zum Ende des Abends – für ein (wieder einmal) fantastisches Programm in ihrem Frühjahrskonzert.

Vorsitzender Christoph Heider begrüßte Gäste wie Interpreten und auch Bürgermeister Gerhard Martin pries „sein Rainer Ensemble“. Die Brillanz der Kapelle sei dem Fleiß und der Leidenschaft aller Musiker zu danken. Allein vor diesem Konzert galt es, 82 Orchester- und Registerproben zu absolvieren. Zu erwarten also aufregend Neues, aber auch bekannte Kompositionen für die Höchststufe sinfonischer Blasmusik. Sympathisch engagiert führte erneut Karin Neubauer durch das Konzert.

Ein „lärmendes Werk“ (so der Komponist) war Pjotr Ilych Tschaikowskys „1812 – Ouvertüre Solennelle“ op. 49, ein Auftragswerk Zar Alexanders I. zur Einweihung der zum Dank für den russischen Sieg 1812 über Napoleon erbauten Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Vom Wesen her eine „Battaglia“, Programmmusik aus Renaissance und Barock. Eine Schlacht imitierend, beginnt sie mit dem Choral „Gott, bewahre Dein Volk“, bevor im Schlachtenlärm die Nationen aufeinanderprallen: Einfühlsam, wie die „Marseillaise“ mit dem russischen Volkstanzthema „U worot, worot“ zusammenprallt und der Ausgang ungewiss ist. Erst der folgende, majestätische Teil, in dem der Anfangschoral, vom Glockengeläut umrahmt, wieder erklingt, versichert den russischen Sieg, der mit der Zarenhymne „Gott erhalte den Zaren“ rauschhaft gefeiert wird. Viele, perfekt gemeisterte Tempo- und Registerwechsel – großer Befall für das hervorragend eingestimmte Orchester.

24 Minuten und 16 Sekunden lang beeindruckte dann: „Ahab“, die von dem zeitgenössischen amerikanischen Komponisten Stephen Leonard Melillo stammende, eindrucksvolle Komposition für Schauspieler und Blasorchester zu Herman Melvilless bedeutendem Werk des amerikanischen Symbolismus, dem Roman „Moby Dick“. Melillo war von der Zerrissenheit des Kapitäns Ahab und dessen unbedingtem Willen, den Kampf mit Gott und dem Wal aufzunehmen, beeindruckt.

Georg Thaller, häufiger Gast bei der Neuburger Volksbühne und regelmäßig am Gärtnerplatztheater in München engagiert, ist der Sprecher – eine Mischung aus „Jedermann“ und dem „Boandlkramer“. Mit Zylinder, Gehrock und weißem Holzfuß, Sextant und Harpune. Mit ungeheurer Intensität ist er Ahab, der wahnhafte Kapitän des Walfängers Pequod. Der seine monomanische Rache ausleben, den weißen Wal erledigen will. Moby Dick. Jenen, der ihn verstümmelt hat, dessen Untergang sein Lebensziel ist. Und sein eigener Untergang werden wird. Der seine Mannschaft unter peitschenden Orchesterklängen auf den Kampf gegen Moby Dick einschwört. Keuchend schreit er auf sie ein, lobt Gold aus. Dann wieder philosophiert er, über Gott, über Mächte, die stärker sind als er – die Musik verklingt in nahezu lyrischem Frieden – ehe Ahabs Schrei „in nomini diaboli“ das Ende einleitet.

Orchesterstürme toben, doch liebliche Winde wehen, und sanfte Klänge ertönen – großartig, wie Sprecher und Orchester miteinander agieren – wunderbar das einfühlsame Dirigat von Andreas Nagl, hervorragend das mit ihm atmende Orchester. Das so herausgeforderte Publikum versteht, applaudiert begeistert.

In Klezmer Classics von Johan de Meij ist traditionelle jiddische Instru-mentalmusik Osteuropas in einem temporeichen Medley zusammenge-fasst: das fast jazzige Abschiedsthema „Mazitov“, für das Geleit am Hoch-zeitsabend; dem „Trisker rebn’s nign“, Folklore für heimwehkranke jüdische Aussiedler, „Lomir zich iberbetn“, ein schwungvoller Hochzeitstanz – und „Chosidl“ ein getragener chassidischer Tanz, und das bekannte „Ma jofus“ – frisch, fröhlich, rhythmisch. Zauberhaftes Durchwechseln der Leitinstrumente – Klarinette, Akkordeon, Querflöte oder Trompeten. Mit dem laut Programmheft Konzertmarsch der Extraklasse „Die Sonne geht auf“ ging sie fulminant auf! Mit einem kleinen, zauberschönen Flötensolo erwachten die Vögel – Rudi Fischer, dem Dirigenten der fränkischen Hergolshäuser Musikanten, ist hier ein großartiger Wurf gelungen, in dem alle Register brillieren durften.

Die „Sinfonischen Tänze aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein sind dem Jubilar dieses Jahres zum 100. Geburtstag gewidmet. Die Neuversion von Romeo und Julia, eingebettet in die Rassenkonflikte zwischen jugendlichen Puertoricanern und Amerikanern, 1957 vertont, die Ethnien durch Musik – Progressive Jazz, Operngesang, Latin Music – charakterisiert, war ein Welterfolg. Im Bandenkrieg zwischen den (amerikanischen) Jets und den (puerto-ricanischen) Sharks geraten Tony, und die Puerto Ricanerin Maria durch ihre Liebe zwischen die Fronten. Ihr Traum von einem gemeinsamen, besseren Leben – „There‘s a place for us, somewhere, somehow…“ endet mit Tonys Tod in Marias Armen.

Das Orchester zog, noch einmal, alle Register seines Könnens, arbeitete packend und überzeugend – in dem hektisch treibenden Rhythmus für die „Jets“ mit ostinaten Begleitfiguren, dissonant klingende Tönen, großen Tonsprüngen, gab die aggressive Stimmung wieder; für die „Sharks“ dagegen tänzerische Latinrhythmen, betont durch den ständigen Wechsel zwischen 6/8 und 3/4 Takt, einen hinreißenden Einsatz der Perkussionsinstrumente (sieben Schlagzeuger im Konzert!). Stimmig alles, bis zum wutgeladenen, aggressiven Mambo: die Rückkehr zur bitteren Realität. Hinreißendes Musizieren insgesamt!

Die erste Zugabe – 100 Jahre Bayern – musste der Bayerische Defiliermarsch sein. Und als alle Zuhörer noch marschmusikbegeistert schauten, wurden sie mit dem wiederholten „Mambo“ entlassen. Ein perfektes Konzert, ein perfekter Abend. Applaus im Stehen eben ..