Phänomenal, diese Stadtkapelle Rain!

Einmal mehr brillierte das Orchester unter der Leitung von Andreas Nagl mit großen sinfonischen Werken. Freilich nicht nur damit. Was alles beim Frühjahrskonzert geboten war. Foto: SIMON BAUER

24.04.2023 VON ULRIKE HAMPP-WEIGAND

Eine grandiose Zuhörerkulisse spendete am Ende des Frühjahrskonzertes der Stadtkapelle Rain minutenlange stehende Ovationen. Wieder einmal lag ein großartiges blasmusikalisches Ereignis hinter dem Publikum mit dem 85-köpfigen Orchester unter der Leitung ihres großartigen Dirigenten Andreas Nagl in der Rainer Dreifachturnhalle. Charmant begrüßt von Christoph Heider, gewinnend durch das Programm geführt von Marco Roger, hatten sich die Gäste mitsamt einer Delegation der ungarischen Partnerstadt Taksony an furiosen Klanggemälden erfreuen dürfen.

Begonnen hatte alles mit einem Marsch, einer Polka française von Johann Strauß (Sohn): Der Walzerkönig, mit dem späteren König von Bulgarien, Ferdinand I., befreundet, schrieb zu dessen Hochzeit den Festmarsch op. 452, einen sehr schwungvollen, sehr pompös-flotten, recht stürmischen Marsch: Wenn der Hochzeiter auch so temperamentvoll war, sicher eine kurzweilige Ehe! Auch wenn die Rainer Stadtkapelle nicht an die Uraufführungskapelle mit 500 Musikern aller Militärkapellen Wiens heranreichte, war die Wirkung kaum geringer.

Die Annen-Polka op. 117, allen Frauen dieses Namens gewidmet – eine spritzig-bezaubernde Polka, ohrwurmig und hinreißend gespielt. Ganz andere Töne wurden da in der „Ouvertüre für Harmoniemusik C-Dur“ op. 24 von Felix Mendelssohn-Bartholdy angestimmt. Der berühmte Komponist der Romantik war gegenüber Blasmusik zeitlebens aufgeschlossen. 1838 orchestrierte er sein Nocturno für elf Bläser für großes Bläserensemble mit 23 Instrumenten und Schlagzeug neu. Langsame Tempi, für Blasmusikerohren gewöhnungsbedürftig: Ein wunderbares, fast sinfonisches Werk, von den Musikerinnen und Musikern unter Andreas Nagl hervorragend gespielt. Die einzelnen Instrumentengruppen wurden solistisch herausgestellt, um dann in grandiosen tutti wieder zusammengeführt zu werden.

Ein Kinderbuch in musikalischer Sprache: Tom Sawyer in hinreißend farbigen Tönen

Moderner Gegenentwurf dazu war die „Tom Sawyer Suite op. 27“ von Franco Cesarini, auf das wunderbar unangepasste Kinderbuch aus dem tiefsten amerikanischen Süden, (noch) nicht in „political correctness“ ertränkt. Fünf „Sätze“: vom Schule schwänzenden Lausbuben Tom zum mutterlosen Freund Huckleberry Finn und ihren Streichen entlang des „Ol‘ Man River“, des Mississippi. Das war ein fröhlich-flippiger, köstlicher Melodienreichtum aus Dixieland. Freundin Becky Thatcher: mädchenhaft lieb, beim Verbrecher „Indianer-Joe“ toben die Instrumente zum Fürchten. Zum glücklichen Ende aber kehrt alles zum ruhig fließenden Fluss zurück.

Sensationell geriet das sinfonische Gedicht für Blasmusik, „Libertadores“ von Oscar Navarra, eine Liebeserklärung an den Amazonas. Grandioses, verführerisches, lautmalendes Oeuvre: Das Publikum begleitete das Orchester in schwüler Hitze den Amazonas hinauf, um sich herum Grün, zwitschernde Vögel und keifende Affen, ehe sie ins Herz des Dschungels eintauchten. Dort galt es, indigene Ureinwohner zu treffen und deren Liedern zu lauschen. Es galt auch zu kommunizieren – nicht nur mittels Instrumenten, Stimmen, Händen, Körpern, Bewegungen der Musiker in wechselnder Abfolge durch das Orchester. Es war eine herrlich farbige, hinreißende Musik, die aufsagen kann.

„Udo Jürgens – das Beste“ wurde zur fulminanten Klangexplosion

Aber dieses Glück durfte nicht dauern: Feindseliges drang ins Paradies mit zerstörerischer Wucht. Der zweite Teil ist den „Liberta-dores“ den „Befreiern“ gewidmet. Martialische, gewalttätige Klänge zerstören die Harmonie: eine fulminante Klangexplosion ist der Auftritt einer Gruppe von Militär-Trommlern: die Gewalt der Revolutionen. War doch das Motto des Komponisten: Ein verführtes und gefesseltes ist ein treues Publikum!

Ein Medley des Gesamtkunstwerks „Udo Jürgens – das Beste“ im genialen Arrangement von Guido Rennert, das enorme Ansprüche an das Orchester stellt, bot faszinierend Bekanntes – und für viele Einzelne aus dem Orchester die Möglichkeit solistischer Brillanz. 60 Jahre Bühnenleben, über 1000 Titel, viele davon Allgemeingut geworden. Die Interpretation der Stücke durch die Stadtkapelle Rain war auch hier – wie im ganzen Konzert – einfach große Klasse. Danke für diesen beeindruckenden Konzertabend!